Kürzungen bei Lehrlingen: Regierung will Hilfskräfte statt Fachkräfte
„Wir sparen im System und nicht bei den Menschen!“ wurde von der ÖVP-FPÖ-Regierung wochenlang skandiert. Dann haben sie Kürzungen bei armen Menschen verkündet, und jetzt haben sie sich junge Menschen vorgenommen.
Volljährigen Lehrlingen in überbetrieblichen Lehrausbildungen soll künftig ihre Ausbildungsentschädigung im ersten und zweiten Lehrjahr von 753 Euro auf 325 Euro monatlich gekürzt werden. Damit verlieren die Lehrlinge über die Hälfte ihres ohnehin schon bescheidenen Einkommens.
5.300 LEHRLINGEN WIRD DIE ZUKUNFT VERMIEST
Exakt 106.613 Lehrlinge gab es österreichweit im Jahr 2017, aber nur 9.101 von ihnen befanden sich in überbetrieblichen Lehrausbildungen. Nur 5.276 von ihnen waren wiederum über 18 Jahre alt – das ist jene Gruppe, bei der jetzt gekürzt wird. Die Einsparungen durch die drastische Kürzung der Ausbildungsentschädigung dürfte also sehr bescheiden ausfallen. Doch die rund 300 Euro weniger pro Monat werden die knapp 5.300 betroffenen Lehrlinge persönlich dafür umso härter treffen. Für sie ist das eine Menge Geld, das ihnen künftig bitter fehlen wird.
Es ist eine Sparmaßnahme, die gleich aus mehreren Gründen nicht nachvollziehbar ist. Allem voran ist da der Fachkräftemangel, über den sich die Regierung gleichzeitig beschwert. Jährlich werden rund 60.000 Fachkräfte in der heimischen Industrie benötigt, doch fast jede fünfte Stelle bleibt unbesetzt. „Allein heuer fehlen 10.500 bis 11.000 Fachkräfte in Österreich, das ist eine Lücke von 15-20 Prozent“, klagte Viktor Fleischer von der Industriellen Vereinigung erst vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem Standard.
HILFSJOBS STATT LEHRE
Wie kommt die Regierung also auf die Idee, dass es sinnvoll wäre, gerade bei der Ausbildungsentschädigung der zukünftig stark nachgefragten Fachkräfte auf so radikale Weise zu kürzen? Die logische Konsequenz der drastischen Einkommenskürzung wird sein, dass viele Jugendliche keine Lehre mehr abschließen. Das können sie sich nicht mehr leisten. Stattdessen werden sie Aushilfsjobs annehmen, in denen sie kurzfristig mindestens dreimal so viel verdienen.
Die überbetriebliche Lehrlingsausbildung bietet Ersatzlehrstellen für Jugendliche, die keine betriebliche Lehrstelle finden. Eine Sprecherin des AMS verweist darauf, dass es immer das Ziel war, möglichst viele Lehrlinge in betriebliche Lehrstellen zu bringen. Derzeit gibt es immerhin 20.000 offenen Lehrstellen, argumentiert sie.
IN WIEN FEHLEN 1.345 LEHRSTELLEN
Der Haken daran ist nur: diese offenen Stellen befinden sich vorwiegend in Westösterreich.
In Wien gab es im April 1.747 Lehrstellensuchende, aber nur 402 sofort verfügbare offene Lehrstellen. Das ergibt ein Lücke von 1.345 Lehrstellen. Deswegen absolviert auch fast ein Viertel aller Lehrlinge in Wien die Ausbildung in einem überbetrieblichen Lehrbetrieb.
Die Wiener AMS-Chefin Petra Draxl betont zudem, dass viele junge WienerInnen heute gar keinen Führerschein mehr besitzen und es in ländlichen Regionen oft an der nötigen Infrastruktur fehlt – angefangen bei leistbaren Wohnungen bis hin zu Kinderbetreuungseinrichtungen.
Selbst wenn sie es wollen würden: Wie sollen junge Menschen ohne Geld ihr Leben von Wien nach Tirol verlegen? Wer keinen Führerschein hat, kann sich erst recht kein Auto, die Kaution für eine Wohnung oder Möbel leisten. Ein Umzug hunderte Kilometer weit weg von der Familie, den Eltern und dem eigenen Freundeskreis, gerade in so einem jungen Alter, kommt natürlich nur für die wenigsten tatsächlich in Frage.
KÜRZUNG PRODUZIERT SCHWER VIERMITTELBARE ARBEITSLOSE
Mit dieser Maßnahme streicht die Regierung den Lehrlingen über die Hälfte ihres Geldes und beraubt sie somit auch oft ihrer Existenzgrundlage und ihrer Selbstbestimmtheit. Kurzfristig ist das unsozial, langfristig zerstören ÖVP und FPÖ jungen Menschen damit aber das ganze Arbeitsleben. Sie produzieren damit eine Reihe von später nur mehr schwer vermittelbaren Arbeitslosen. Denn das Risiko ist hoch, dass die jungen Beschäftigten ohne formale Ausbildung, die sich heute nur mit kurzfristigen Aushilfsjobs über Wasser halten, später in prekären Jobs im Niedriglohnsektor landen.
Es ist der Beginn einer Kette von miesen Jobs, aus denen sie auch nicht mehr leicht herausrauskommen, weil es mit höherem Alter und steigenden Verpflichtungen immer schwierige wird, einen Abschluss nachzuholen.
Mit 46,5 Prozent ist fast die Hälfte aller Beschäftigten die nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen, instabil beschäftigt. Beschäftigte mit Lehrabschluss sind mit 27,2 Prozent deutlich seltener davon betroffen.
ÖSTERREICHISCHE LEHRE ALS EXPORTSCHLAGER
Alle ExpertInnen sind sich darüber einig, dass die duale Ausbildung hervorragend ist und nicht umsonst zum internationalen Exportschlager avanciert. Zahlreiche Studien warnen davor, dass der Fachkräftemangel immer bedrohlicher wird und das Wachstum massiv dämpfen kann:
„Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil der Unternehmen, die den Fachkräftemangel als Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs sehen, von 48 auf 59 Prozent“.
Doch trotzdem wollen bereits jetzt immer weniger Jugendliche eine Lehre absolvieren. Auch, weil die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen vielfach nicht gut sind.
ARBEITSBEDINGUNGEN IN DER LEHRE VERBESSERN
Fast jeder dritte Lehrling gibt laut Lehrlingsmonitor an, sehr häufig ausbildungsfremde Tätigkeiten auszuüben. Obwohl Schutzvorschriften das verbieten, geben 36 Prozent der unter 18-Jährigen an, Überstunden zu leisten – mehr als ein Drittel davon sogar unfreiwillig. Fast jeder zweite Lehrling hat während der Lehrzeit mindestens einmal über einen Ausbildungsabbruch nachgedacht, wiederum fast die Hälfte davon hat diese Überlegung sogar ernsthaft in Betracht gezogen. Überdies gibt jeder vierte Lehrling an, von sich aus nach dem Lehrabschluss nicht im Betrieb bleiben zu wollen und 31 Prozent wollen nicht in ihrem Lehrberuf bleiben.
Es gibt bei der Lehrausbildung also jede Menge Handlungsbedarf für die Regierung. Dieser kann aber keinesfalls in Kürzungen im Budget bestehen, die zu Einsparungen bei den so wichtigen Überbetrieblichen Lehrausbildungen führen. Sie ist für Jugendliche oft der einzige Weg zu einem Lehrabschluss und damit einer Ausbildung. Vielmehr müsste gerade jetzt in qualitätssteigernden Maßnahmen für die Rahmenbedingungen der Lehrlinge und somit in ihre Zukunft investiert werden, statt sie ihnen zu vermiesen.