Hippe Sprache, falsche Bilder – Wie uns Entrechtung als Fortschritt verkauft wird
Wir hören sie ständig immer wieder, die ewig gleichen Forderungen, dass es dringende „Reformen“ gegen die „Überbürokratisierung“, die „Überregulierung“ und das angeblich so „starre Arbeitszeitgesetz“ braucht. Pensionen sollen „enkelfit“ gemacht werden und „Leistung soll sich wieder lohnen“ – aber was bedeuten diese Forderungen eigentlich? Was genau wird da überhaupt gefordert und was für Konsequenzen hätte die Umsetzung? Antworten liefern jene, die gebetsmühlenartig diese Phrasen propagieren, leider nicht – vielleicht gar mit Absicht?
Wordings sind Sprachregelungen und Wortkreationen die sicherstellen sollen, dass Äußerungen nicht widersprüchlich klingen. Sie sollen aber auch dafür sorgen, dass ausschließlich das gesagt wird, was auch vermittelt werden soll. Wordings beinhalten deswegen oft einen Euphemismus, sie stellen Gesagtes nicht nur positiv dar, sie beschönigen es auch. Das wäre als solches noch nicht problematisch. Aber Wordings werden zunehmend unhinterfragt übernommen, viele werden als solche gar nicht mehr erkannt und somit eine Realität erschaffen, die gar keine ist.
Besonders gefährlich ist diese falsche Realität, wenn das Propagierte auch noch im vollkommenen Widerspruch zur tatsächlichen Lebensrealität von uns arbeitenden Menschen steht. Gerade wenn es darum geht wie unsere Arbeitswelt aussehen soll, werden uns von VertreterInnen von Industrie und Wirtschaft nachteilige Forderungen, die weniger Gehalt, weniger Freiheit und weniger Rechte bedeuten würden, geradezu als Geschenk angepriesen. Die Strategie, so lange zu rufen, dass wir angeblich „starre“ Arbeitszeiten hätten – was jeder internationale Vergleich widerlegt – hat etwa dazu geführt, dass nur noch von „Flexibilisierung“ geredet wird, ungeachtet dessen, dass es vorwiegend um Geld geht.
Ausgepresst und fremdbestimmt – die Lüge von der „Flexibilisierung“
Das obige Werbe-Posting der Wirtschaftskammer auf Facebook zeigt gleich auf mehreren Ebenen, wie gezielt Stimmung erzeugt wird, statt auf Inhalte oder Forderungen einzugehen. Zur Illustration von „Flexibilität“ werden drei Frauen im Spagat gezeigt, die sich vornüberbeugen, Dekolleté zeigen und in die Kamera lächeln. Abgesehen davon, dass man bei diesem Sujet an den alten Spruch „If your product was any good, you wouldn´t need sexism to sell it“ denken kann, wird hier die Forderung der Arbeitgebervertretung der Arbeitenden in den Mund gelegt. „Auch ihr und ihrer Chefin“ wäre „Flexibilität“ wichtig, lesen wir, was das konkret bedeutet, wird hingegen nicht beschrieben.
Der ÖVP-Wirtschaftsbund – Mehrheitsfraktion in der Wirtschaftskammer – formuliert die Forderungen dahinter für seine eigene Klientel deutlicher: Zwölf Stunden tägliche Höchstarbeitszeit anstatt zehn Stunden, zusätzlich eine Anhebung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden, was zwangsläufig einem sechsten Arbeitstag pro Woche entspricht. Und zur Krönung ein Durchrechnungszeitraum für Überstunden von zwei Jahren.
Das kommt einer Abschaffung von Überstundenzulagen gleich, denn keinE ArbeitendeR wird bei so einem langen Durchrechnungszeitrum jemals wissen, ob die gerade gearbeitete Stunde eine zuschlagspflichtige Überstunde ist oder nicht. Genau darum geht es bei dieser Forderung: um die Einsparung von Zulagen auf Kosten der Arbeitenden. „Flexibilisierung“ klingt natürlich besser als Lohnraub, „Flexibilisierung“ klingt auch besser als Arbeitszeitverlängerung, aber die Verpackung ändert nichts am Inhalt.
Kürzungen durch das falsche Versprechen „Leistung muss sich wieder lohnen“
Die Oberösterreichische Volkspartei zeigt einen Arbeiter, der ein Brett auf den Schultern trägt und lächelnd seinen gestreckten Daumen in die Kamera hält. Auf ihr Plakat schreibt sie „Arbeit lohnt sich wieder“, darunter klein gedruckt „Deckel der Mindestsicherung wird beschlossen“. Der glückliche Arbeiter und der Slogan „Arbeit lohnt sich wieder“ suggeriert, dass für den Arbeiter eine Verbesserung, ja sogar eine Lohnerhöhung erreicht wurde. Das Kleingedruckte fällt bewusst kaum auf. Dann heißt es weiter: „Mit dem 1500 Euro Deckel schaffen wir einen Unterschied zwischen Einkommen aus Arbeit und Sozialleistungen“. Und erst an diesem Punkt wird klar, worum es eigentlich geht. Die Leistung des Arbeiters lohnt sich gar nicht wieder, er bekommt überhaupt nicht mehr, aber das Plakat sagt, er bekommt zumindest mehr als die Mindestsicherung – weil dort gekürzt wird.
Dieses Plakat ist so perfide, dass es eine ganze Aufzählung an Klarstellungen braucht. Diese Kürzung wird für SteuerzahlerInnen und damit Arbeitende, wie schon in einer meiner letzten Kolumnen beschrieben, verdammt teuer. Abgesehen davon, wird die Mindestsicherung für eine ganze Familie auf 1500 Euro gedeckelt, nicht wie der Mindestlohn, der für eine einzelne Person ausbezahlt wird. Auch, dass diese Kürzung den Arbeiter selbst irgendwann genauso treffen kann, falls er einmal auf die Mindestsicherung angewiesen sein sollte, wird unterschlagen. Und das schlimmste daran ist, dass damit Neid auf die Schwächsten geschürt wird, anstatt zu thematisieren, dass Arbeit sich sich vor allem deswegen zu wenig lohnt, weil die Löhne zu niedrig sind und nicht, weil die Mindestsicherung zu hoch ist.
Mit „Zwangsanstellung“, „Überbürokratisierung“ und „Rechtssicherheit“ gegen die Krankenkassen
Eine weitere Mär, die wir nahezu täglich von Wirtschaftsliberalen zu hören bekommen: „Die Hälfte von unserem Lohn wird uns weggenommen“, die „Lohnnebenkosten“ wären so hoch, dass deswegen „den Menschen zu wenig im Börsel bleibt“. Auch diese Wordings und Behauptungen unterschlagen wesentliche Informationen und zeichnen ein falsches Bild. Denn die Lohnnebenkosten fließen vor allem in unsere Krankenversicherung, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung, die Hälfte davon wird durch den Arbeitgeberanteil finanziert, die andere Hälfte wird von unseren Gehältern beigesteuert.
Dieses Geld wird uns aber nicht „weggenommen“, es ist für unsere soziale Absicherung und wir alle bekommen dieses Geld im Laufe unseres Lebens, wenn wir erkranken, arbeitslos oder alt sind, wieder zurück. So wird zum Beispiel das Krankengeld, das wir beziehen sobald wir mehr als ein paar Tage im Krankenstand sind, nicht von unserem Arbeitgeber, sondern von der Krankenkasse bezahlt, genauso wie das Wochengeld in der Schwangerschaft.
Unser Sozialversicherungssystem ist tragender Bestandteil unseres Sozialstaats, deswegen ist es so wichtig. Deswegen sind Angriffe auf die Gebietskrankenkassen, in Form von Wordings wie „Zwangsanstellung“, brandgefährlich für uns alle. Diese Wortkreation tut so, als ob eine ordentliche Anstellung mit alle den Sicherheiten wie beispielsweise Mindestlöhnen, Sozialversicherung und Urlaubsanspruch, die sie für uns bringt, etwas wäre, das uns Freiheit nimmt. Passend dazu auch das untere Sujet der Kampagne „Recht auf Selbstbestimmung“ der Fachgruppe UBIT der Wirtschaftskammer Wien, welches die Sozialversicherung gleich als Fußkette mit Kugellast verunglimpft.
Dort wird gleichzeitig Stimmung gegen die „Überbürokratisierung“ der Krankenkassen gemacht und fehlende „Rechtssicherheit“ für ArbeitgeberInnen beklagt. Das ist zwar ein Widerspruch für sich, weil Rechtssicherheit durch ebendiese Regeln entsteht, aber daran stören sich die Propagandisten nicht, sehen sie ihr Ideal doch im rechtsfreien Raum. Wir Arbeitenden sind jedoch auf unsere Rechte angewiesen. Würde es keine Regeln zu Anstellung geben, könnten wir alle zu TagelöhnerInnen ohne jegliche Sicherheit und Anspruch auf Mindestlöhne gemacht werden. Dann könnten wir also wirklich nicht mehr frei und selbstbestimmt leben.
Alle dieses Wordings haben also gemein, dass die geforderten Verschlechterungen für die Arbeitenden nicht nur nicht kommuniziert werden, sie werden völlig verdreht dargestellt. Arbeitende werden als NutznießerInnen von Maßnahmen dargestellt, die eine Belastung, ja fahrlässige Verschlechterung für sie bedeuten. Wenn also das nächste Mal vom „schlanken Staat“ oder „entfesselter Wirtschaft“ die Rede ist, und damit können wir leider rechnen, sollten wir entschieden dagegenhalten. Gerade in Zeiten, in denen ständige Verschlechterungen für Arbeitende gleich von mehreren Parteien unaufhörlich wie ein Dauerregen auf uns prasseln und Wordings einzusickern drohen, müssen wir uns organisieren!